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Neues Jahr, neues Buchglück. Wie Einige wissen, soll das in meinem Fall ein Klassiker-Jahr werden. Bevor ich damit loslege, will ich den Januar aber nutzen, um das vergangene Lesejahr noch einmal Revue passieren zu lassen. Wie nicht anders erwartet, war nichts wie erwartet. Aber seht selbst, welche literarischen Überraschungen 2023 so zu bieten hatte.

Optimistische Pläne vs. nackte Wahrheit

Irgendwie hat mich der Alltag das letzte Jahr ganz schön aus der Bahn geworfen. Von den geplanten Büchern, die ich lesen wollte, haben es lediglich 2,5 Bücher mit mir durch das Jahr geschafft. Meine Zeit wurde gerade in diesem Jahr schlicht von ganz anderen tollen Dinge in Anspruch genommen. Das Auswahlseminar der Studienstiftung und das Praktikum im Robert Musil Institut für Literaturforschung waren nur zwei davon. Das Praktikum ist auch der Grund für das 0,5 in der Liste: Ich habe mit den Gesammelten Werken von Robert Musil begonnen. Davon gelesen habe ich seinen Erstlingsroman Die Verwirrungen des Zögling Törleß (1906) und die Erzählung Die Amsel (1936).

Meine eigentlichen Buchpläne für 2023… (Bild: Ich)

Beide Texte haben mich mit ihrer Sprache und ihren abschweifenden Reflexions-Exzessen absolut überzeugt. Musils Schreibstil ist ein Feuerwerk an Sprachspiel und Sprachlust. Gleichzeitig liebe ich seine Auseinandersetzung mit der menschlichen Existenz. Musils Welten samt seiner Figuren sind nicht selten verstörend, aber ich garantiere euch, jeder Satz ist es wert. So begleitet der Lesende in Die Verwirrungen des Zögling Törleß den jungen Internatsschüler Törleß, der sich eines Tages seinen Mitschülern Reiting und Beineberg anschließt. In einer geheimen Dachkammer schmieden sie Pläne über Macht und Intrigen. Mit dem eher schwächlichen Basini, den sie beim Diebstahl erwischen, wird schnell ein Opfer gefunden, an dem sie ihre Theorien exerzieren können.

Mitten in der Pubertät und gerade seine Sexualität entdeckend, verstrickt sich Törleß in ein Netz aus Sadomasochismus, Homosexualität und Gewalt. Psychologisch versiert und grauenhaft detailliert folgt Musils Erstling dabei der Entwicklung des Jungen und entpuppt sich als absoluter Pageturner.

Immerhin ein bisschen nach Leseplan: Malina und Woyzeck

Von der geplanten Leseliste für 2023 habe ich außerdem Woyzeck von Georg Büchner (1836) und Malina von Ingeborg Bachmann (1971) gelesen. Ersteres war ein Re-read. Beim zweiten Mal lesen habe ich nun schon mehr damit anfangen können, dennoch ist das fragmentarische Stück nicht besonders nach meinem persönlichen Geschmack. Malina hingegen hat mich wie erwartet begeistert – und gleich noch viel mehr verstört als Musils Törleß. Bachmanns wohl bekanntester Roman, der in drei Teile aufgeteilt ist, zeigt das Leben aus der Perspektive einer unbekannten Ich-Erzählerin. Zwischen ihren alltäglichen Aufgaben sucht sie nach Bestätigung und Liebe und ist dabei zwischen der Titelfigur Malina und ihrer neuen Bekanntschaft Ivan hin- und hergerissen. Oft scheint unklar, was oder wer hier eigentlich real ist und man glaubt nicht selten, selbst den Verstand zwischen den Seiten zu verlieren.

Vor Allem das zweite Kapitel, in dem sich die Erzählerin in düstersten Traumvisionen mit dem Verhältnis zu ihrem Vater auseinandersetzt, katapultiert den Lesenden mitten hinein in eine alptraumhafte Welt, die mich nicht zuletzt an Gruselschocker wie ES oder an Szenen aus Das Märchen der Märchen erinnert haben. Dazwischen habe ich aber auch ganz viel kleine Gedanken der Erzählerin gefunden, die ich mir für die Zukunft erhalten möchte. Zum Bespiel die spielerischen Arten, auf die wir Menschen siezen können – und dass es Menschen geben kann, denen wir unser “schönstes Sie” sagen. Somit also ein große Leseempfehlung. Wenn auch eine Triggerwarnung für Zeiten, in denen man sich selbst grad mental nicht so gut fühlt.

Die ungeplanten Leseabenteuer von 2023

Erfreulicherweise tummeln sich auf meiner Leseliste 2023 auch einige Bücher, die ich spontan entschieden habe zu lesen. Ich habe euch die Bücher in die Kategorien Belletristik, Sachbuch und Klassiker unterteilt. Sollte ich das Buch im Rahmen meines Studiums gelesen haben oder sollte es ein Re-read für mich sein, werde ich eine entsprechende Info hinzufügen. Die Bücher, die ich hier auf dem Blog ausführlicher besprochen habe, liste ich noch einmal extra auf und verlinke euch außerdem meine Rezension.

Belletristik

Kennt ihr das? Gerade jetzt, wo ich diese Listen erstelle, bin ich doch etwas erstaunt, wie wenig ich am Ende des Jahres tatsächlich geschafft habe. Es ist leicht, sich von Booktok und Booktube einschüchtern zu lassen, wo der Durschnittslesende 50 – 200 Bücher jährlich verschlingt. Man selbst tummelt sich stattdessen irgendwo bei 20-30 Büchern. Noch schlimmer fühlt es sich an, zuzugeben, dass diese Anzahl an gelesenen Büchern persönlich schon viel ist. Ja, ich habe in einigen Jahren deutlich weniger gelesen. Außerdem fange ich gerade erst an, meine wirklichen Vorlieben im Bereich der Literatur zu entdecken. Und das obwohl ich seit 3 Jahren SpuTe mit Schwerpunkt Deutsche Literaturwissenschaft studiere. Müssen wir uns also für das erreichte oder nicht erreichte Leseziel schämen? Ganz klar: Nein. Es geht immerhin doch um den Spaß an der Sache. Alles hat seine Zeit. Genauso ok ist es, sich öfters neu zu orientieren.

Als Studierende merke ich schlicht auch die Auswirkungen, die das Pensum an wissenschaftlichen Texten, die ich durcharbeiten muss, auf mein Leseverhalten hat. Neben Studium und Teilzeitjob habe ich oft keinen Kopf mehr noch just for fun zu lesen. Das sind natürlich Luxusprobleme einer lesenden Person, ist mir klar. 2023 scheint mir dennoch ein gutes Lese-Jahr gewesen zu sein. In den zwei Grafiken könnt ihr sehen, welche Bücher ich im Bereich Belletristik gelesen habe und wie gut sie mir gefallen haben. Zu den besonderen Highlights des Jahres könnt ihr weiter unten im Blogartikel noch mehr lesen.

Sachbuch

Neben Romanen habe ich dieses Jahr auch wieder einige Bücher aus den Bereichen Wissenschaft, Kunst, Psychologie, Literaturwissenschaft und Persönlichkeitsentwicklung gelesen. Ich habe sie hier unter dem Begriff Sachbuch zusammengefasst. Einige der Bücher durfte ich für die Uni lesen, andere habe ich im Rahmen meiner Recherche für Hausarbeiten gelesen, wiederum andere waren reines Freizeitvergnügen. Auch hier gab es Lektüren, die besonders hilfreich für das Verständnis der Studieninhalte waren – andere haben Spaß gemacht oder mir interessante, neue Perspektiven auf ein bestimmtes Thema eröffnet.

Klassiker

Mein Interesse an Klassikern hat sich über die letzten 2 Jahre ganz langsam angepirscht, sodass ich auch 2023 schon ein wenig in das Genre reingeschnuppert habe. Wie ihr in meinem Ranking seht, haben alle Bücher aus dem Bereich gut abgeschnitten. Ein Grund, optimistisch in das Lesejahr 2024 zu starten, würd ich sagen. Besonders freue ich mich darüber, dass mir das letzte Jahr nicht nur gezeigt hat, wo die Wurzeln meiner Liebe zur Literatur liegen, sondern ich auch langsam neue Autor:innen aus anderen Epochen entdecke. So ist gerade Theodor Storm ein Anwärter auf einen neuen Favoritenplatz. Dazu aber später noch einmal mehr.

Wie aus der Liste ersichtlich, bewege ich mich mit meinen Lesevorlieben stark im Bereich der Deutschen Moderne. Mich fasziniert ihre Vielfalt an Strömungen und Themen, die mich immer wieder überraschen und begeistern. Dennoch werde ich versuchen, das in meinem Klassikerjahr sowohl zeitlich als auch regional etwas auszuweiten. Zu meinen “Lesezielen” für 2024 wird es aber auch noch einen extra Blogbeitrag geben.

Bücherrezensionen auf dem Blog

Zuletzt bin ich ein bisschen stolz darauf, dass ich es geschafft habe, das ein oder andere Leseabenteuer mit euch zu teilen. Und glücklich darüber, dass ihr durch euer Mit-Lesen daran teilhattet. Dafür noch einmal ein großes Dankeschön!

Nachfolgend findet ihr alle Bücher aufgelistet, über die ich explizit einen Artikel geschrieben habe oder auf die ich anderweitig eingegangen bin. Vor Allem ist diese Auflistung für mich ein Zeichen, dass 2023 angefüllt war mit tollen Momenten, neuem Wissen und Lieblingsthemen. Sei es die Recherche zu meiner Bachelorarbeit, die Begegnung mit Lars Eidinger oder die Auseinandersetzung mit dem Thema Finanzen, das längst überfällig war. Für alle diese Texte, Erkenntnisse und Erlebnisse bin ich sehr dankbar. Hier also die Liste der Bücher und die verlinkten Artikel:

Meine Lieblings-Highlights von 2023

Wie schon oben angekündigt, will ich zum Abschluss noch genauer auf das ein oder andere Highlight eingehen. Alle dieser Bücher hätten einen eigenen Artikel verdient, aber manche Dinge bleiben einfach auf der Strecke. Deswegen hier noch einmal kurz zusammengefasst:

Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge von Rainer Maria Rilke

Die Geschichte rund um Malte Laurids Brigge ist der einzige Roman, den der Schriftsteller geschrieben hat. Und gleich vorneweg: Das ist sowas von schade. Der Zugang scheint zugegeben etwas schwierig und die 3 Kapitel/Teile des Romans wirken anfangs zusammenhangslos. Dank dem Seminar zur Moderne letztes Semester hab ich aber einen komplett neuen Zugang gefunden und ich kann euch sagen, die 3 Teile ergänzen sich ganz wunderbar.

In Rilkes Roman begleiten wir Malte, den jungen Nachkommen eines dänischen, ländlichen Adelsgeschlechts, der versucht in den Wirrungen der Pariser Moderne Fuß zu fassen. Zwischen Kunst, Selbstfindung und Reizüberflutung erkennt Malte die übermächtige Anonymität der Großstadt, in der Individuen verloren gehen und ihr Recht auf einen eigenen Tod verwirken. Eingeholt von Erinnerungen an seine Kindheit und der Angst vor der Endlichkeit des Menschen, Krankheiten und Wahnsinn, flüchtet er sich in das Ideal verschiedener Kunst- und Heiligenfiguren. Ihre Geschichten sind es auch, die ihm am Ende Hoffnung geben.

The Faraway Nearby von Rebecca Solnit

Ihren Durchbruch hatte Solnit bereits in den 80er Jahren mit einer Essaysammlung, in der sie unter anderem den Begriff des mansplaining geprägt hat. Weniger politisch, aber genauso existenziell, setzt sie sich in ihrem autobiographischen Text The Faraway Nearby mit dem Verhältnis zu ihrer Mutter auseinander, die an Alzheimer erkrankt ist. Während die Beziehung zuvor aus Missverständnissen und Enttäuschungen bestand, kommt es im Verlauf der Krankheit zu einer Annäherung der beiden Frauen. Solnit arbeitet am letzten Vermächtnis ihrer Mutter – einem Berg voll Aprikosen – die verschiedenen Stadien von Liebe und Vergessen ab.

Menschsein in seinen Grundfesten hat schon immer bedeutet, Geschichten zu erzählen, Teil von Geschichten anderer zu sein und seine eigene Geschichte zu schreiben, so Solnit im einleitenden Kapitel. Über eine an einer Klimax orientierten Textanordnung verwebt sie auf beeindruckende Weise die großen Erzählungen und Mythen der Menschheit mit ihren persönlichen Erfahrungen. Auch Kunst und Sprache kommen dabei nicht zu kurz. So begegnen wir zum Beispiel Yoko Onos Kunstwerk Play it by trust oder der Geschichte von Che Guevara, der ursprünglich loszog, um Lepra-Kranke zu heilen. Für mich war das Buch ein absolutes Highlight, das mir zudem seitenweise Tränen in die Augen getrieben hat. Eine Leseempfehlung von Herzen.

Ein Doppelgänger von Theodor Storm

Nachdem ich schon vom Schimmelreiter begeistert war, war es höchste Zeit für einen weiteren Text von Theodor Storm. In der kurzen Novelle Ein Doppelgänger verfolgen wir den Absturz des Protagonisten John Hansen. Der junge Mann, der aus Dummheit in frühen Jahren einen Diebstahl begangen hat, scheitert an den Vorurteilen seiner Mitmenschen. Obwohl er mittlerweile gesetzestreu lebt, arbeitet, eine junge Frau geehelicht hat und versucht, mit ihr ihre Tochter bestmöglich großzuziehen, kann er in seiner Heimat nicht mehr Fuß faßen. Mit den Vorurteilen einher gehen Unsicherheiten im Job und Streitigkeiten mit seiner Frau. Während einer dieser Auseinandersetzungen kommt es zu einem schwerenfolgen Unfall, der John und seine Tochter so weit in die Armut treibt, dass er erneut ein Verbrechen begeht.

Was letzten Endes wirklich geschehen ist, erfahren wir über die Schilderungen des Erzählers, der auf die Tochter eben jenes Mannes trifft. Dabei erinnert er sich an die Gegebenheiten und erkennt, dass alles doch ganz anders war, als es scheint.

Mich persönlich beeindruckt Storm durch die klare Figurenzeichnung und das Mitgefühl, das er ohne Anstrengung für seine Figuren zu wecken vermag. Obwohl der Autor sprachlich schlicht arbeitet und manche Sätze der Entstehungszeit geschuldeet dezent pathetisch wirken, zieht mich das Leben seiner Protagonist:innen von der ersten Seite an in den Bann. Vor Allem aber machen seine Rahmen- und Binnenkonstruktionen, der leichte Gruselfaktor und seine Sprachprägnanz einfach Freude.

Fazit

Das letzte Lesejahr war entdeckungsreich, bestätigend, anstrengend und spannend. Ich hoffe, euch mit meinem Rückblick vielleicht für die ein oder andere Lektüre begeistern zu können. Natürlich würde ich mich auch freuen zu hören, ob ihr eines der Werke schon kanntet oder was eure Lesehighlights 2023 waren. Lasst mir doch gerne einen Kommentar da oder schreibt mir eine Nachricht. Kommentarfunktion findet ihr oben links neben dem Titelbild, Nachrichtenfunktion gleich unter dem Blog. Und nun wünsche ich uns allen ein inspirierendes, gesundes, neues Jahr mit vielen Momenten und Büchern zum Verlieben.


Info: Alle Grafiken wurden von mir erstellt, verwendet habe ich dazu Canva in der kostenfreien Basisversion

Wenn ihr mehr über Lars Eidinger lesen wollt: Lars Eidinger – Sein oder nicht sein. – Natascha Huber (natascha-huber.de)

Und hier könnt ihr über mein Praktikum im Robert-Musil-Institut nachlesen: Erasmus+: Mein Praktikum im Robert-Musil-Institut Klagenfurt – Natascha Huber (natascha-huber.de)

Hinweis: unbezahlte Werbung / unbezahlte Verlinkung
Natascha Huber