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In meinem Februarartikel habe ich ganz optimistisch von meinen für dieses Jahr gesetzten Lesezielen erzählt, die sich darauf konzentrierten, bestimmte Themen und Autor:innen mehr in meinen Lesealltag zu integrieren. Zum anderen sind auch ganz konkrete Bücher auf dieser Liste gelandet. Zum Endspurt des Jahres wird es nun höchste Zeit, einmal Bilanz zu ziehen und zu schauen, was ich gelesen habe, wie weit ich mit meinen Zielen vorangekommen bin und was die bisherigen Highlights waren. Ein Teaser vorneweg: Ein Klassiker feiert dieses Jahr Jubiläum und ICH feier IHN, aber sowas von. Welcher es ist, verrat ich euch natürlich im heutigen Artikel.

Kurzer Rückblick: Die Ziele

In meiner Bibliothek in Notion gibt es mittlerweile vier verschiedene Leselisten, die alle im Endeffekt mehr oder weniger exzessiv darauf abzielen, mehr der Autor:innen zu lesen, von denen mich bereits 1-2 Bücher schwer begeistert haben, meine Entdeckungsreise in die große, weite Welt der Klassiker weiter voranzutreiben, oder meiner Vorliebe für Persönlichkeitsentwicklung und Lyrik zu frönen. Für jedes dieser insgesamt fünf abstrakten Lese-Ziele hatte ich drei Bücher priorisiert. An sich gibt es eine Liste von 34 Büchern, die ich dieses Jahr insgesamt gerne schaffen möchte. Wir sehen erst mal an, welche Bücher der engeren Prioritätenliste ich „abhaken“ darf und wie die Leseerfahrung war. Danach will ich euch mit durch meine ambitionierte Leseliste nehmen und schauen, was ich davon noch geschafft habe.

Die Prioritätenliste: Lyrik ist irgendwie tot. Klassiker nicht.

Ich trau es mich als Lyrikerin kaum sagen – aber Lyrik und ich haben schon seit geraumer Zeit Beziehungsprobleme. Gleich vorneweg das Geständnis: Von dieser Liste habe ich keinen einzigen Gedichtband gelesen. Die drei Bände, die ich zur Hand genommen haben, sind von meiner „großen“ Liste, aber reißen das nicht wirklich raus. Denn als wäre das noch nicht erbärmlich genug, sind Franz Hodjaks Ankunft Konjunktiv mit gerade mal 87 Seiten und Helmuth Opitz‘ Die Dunkelheit knistert wie Kandis mit 144 Seiten eher die kürzesten auf dieser Liste. Das toppt nur mein kläglicher Versuch mit Ovids Die Kunst der Liebe. Nach den ersten fünf Seiten war ich so Mythologie-überfordert und genervt, dass ich das Buch gleich komplett wieder von meiner Leseliste genommen habe. Naja, wenigstens wäre das geklärt.

Lyrik Zwischenstand: 0 von 3

Meine eigentlich priorisierten Lyrikbände der Leseliste. (Bild: Ich)

Was die Klassiker betrifft, sieht es zum Glück besser aus – auch wenn ich langsam glaube, dass meine enge Prioritätenliste vergebene Liebesmüh war. Denn auch hier habe ich vermehrt außerhalb dieser Liste gelesen. Nichtsdestotrotz hat es Die gelbe Straße von Veza Canetti auf den Nachttisch und in mein Leserinnenherz geschafft. Mit ihrem kurzem Roman über das Zusammenleben unterschiedlichster Menschen in einer Wiener Handelsstraße der 1930er Jahre hat sie mich absolut abgeholt. Selten habe ich so rohe, verwahrloste und absurde Charaktere kennengelernt und ich war oft von der Missgunst und der Ekelhaftigkeit einzelner Figuren schockiert. Gleichzeitig versteht es Veza Canetti meisterhaft über die fünf episodenhaften Kapitel Verbindungen zu knüpfen, die ein ganzes Gesellschaftspanorama auffächern. Und glaubt mir, es ist keines, das euch gefallen wird. Aber es lohnt sich.

Zitat einfügen

heißt es gleich am Anfang. Und wer kann nach SO einem ersten Satz NICHT weiterlesen ?

Deutsche Klassiker Zwischenstand: 1 von 3

Die Prioritätenliste: Etwas mehr über den Tellerrand + Lieblingssuppe

Weiter geht’s mit den Kategorien Internationale Literatur und Klassiker plus weitere Werke von Autor:innen, die ich bereits toll fand. Auch hier können wir uns kurz halten: Bis auf Klabunds Erzählung Die Krankheit ist nichts davon gelesen. Allerdings habe ich nun als Buddyread mit einer lieben Kollegin auf YouTube begonnen Dostojewskijs Verbrechen und Strafe zu lesen, wozu es mehrere YouTube-Videos geben wird. Ihr könnt also gespannt sein.

Internationale Klassiker Zwischenstand: 1 angefangen von 3

Lieblingsautor:innen Zwischenstand: 1 von 3

Am Ende gibt es aber doch noch etwas Positives zu berichten: In meiner Kategorie Wissen + Persönlichkeitsentwicklung sind alle drei Bücher gelesen. Sowohl Simon Sineks Start with Why, als auch Otto Gross‘ Drei Aufsätze über den inneren Konflikt und vor allem Einzeln sein von Rüdiger Safranski, das ich besonders hervorheben möchte. Und dank Letzterem habe ich jetzt erst beim zweiten Mal lesen von Michel de Montaigne’s Essay Philosophieren heißt Sterben lernen begriffen, wie großartig und zeitlos die Gedanken des Philosophen aus dem 16. Jahrhundert sind. Was für eine Bereicherung. Daher: Ganz große Empfehlung.

Wissen/Persönlichkeitsentwicklung Zwischenstand: 3 von 3

34 Bücher für 2024: The Big Picture oder die etwas zu ambitionierte Liste

Bei dem Start können wir ja nur hoffen, dass es mit dieser Liste besser aussieht. Wir wissen ja insgeheim alle, wie das immer so mit den Listen läuft- meistens ist das Listen schreiben der Teil, der am Meisten Spaß macht. Pläne schmieden, sich ausmalen, wie es sein wird… Wenn da nicht das Problem mit der Disziplin wäre. Wenn ihr wissen wollte, welche Bücher auf dieser Liste insgesamt gelandet sind, könnt ihr gerne später noch rüber schauen zu meinem „34 Bücher für 2024“-Video auf YouTube. Dort stelle ich sie alle kurz einmal vor.

Auf YouTube findet ihr unter meinem Kanal Books and Poets das Video zu meiner vollständigen Leseliste. Link unten. (Bild erstellt mit der kostenfreien Version von Canva)

Nun schauen wir uns aber erst einmal die Bücher an, die ich von dieser Liste auch wirklich gelesen habe und welche ich euch besonders ans Herz legen kann. Weils immer so viel Spaß macht, werden wir uns in einem Ranking Stück für Stück bis zu meinem bisherigen Lese-Jahreshighlight hocharbeiten.

Platz 9 bis 5

Ankunft Konjunktiv – Franz Hodjak (1997)

Ich habe den Gedichtband nun zum zweiten Mal gelesen und weiß immer noch, warum ich ihn toll fand. Funfact: Ich hatte allerdings eine viel sanftere Sprache in Erinnerung. Stattdessen findet hier eine sehr raue Perspektive seinen Ausdruck, die immer wieder zwischen Hoffnung und Zweifeln changiert.

Die Dunkelheit knistert wie Kandis – Hellmuth Opitz (2011)

Helmuth Opitz‘ Sprache ist für mich immer ein sehr sinnliches und gleichzeitig realitätsverbundenes Erleben. Auch hier mochte ich die zweite Lektüreerfahrung sehr gerne.

Serotonin – Michelle Houellebecq (2020)

Endlich war es Zeit für meinen ersten Roman des berüchtigten Enfant Terrible der französischen Literatur und er macht seinem Namen alle Ehre. Das übergriffige und resignierte Handeln des männlichen Protagonisten ist schwer auszuhalten. Nachdem dieser zur Heilung seiner Depressionen ein neues Medikament bekommt, das zur Impotenz führt, zieht er sich immer weiter aus der Welt zurück. Was ich gut fand: Houellebecq arbeitet mit einer interessanten Parallelführung von körperlichem Verfall und dem Untergang der französischen Agrarwirtschaft.

Das philosophische Lesebuch- Daniela Zimmermann (Hrsg.) (2013)

Wie oben schon erwähnt, habe ich hieraus begleitend ein paar Texte zu Rüdiger Safranskis Einzeln sein gelesen und bin sehr froh, mich dabei noch einmal mit Montaignes Gedanken zu Tod und Sterben beschäftigt zu haben. Es ist der Versuch, mit dem Unausweichlichen Frieden zu schließen und er kommt zu dem Schluss, dass man sich eben nicht fürchten muss. Voraussetzung: Mann muss sein Leben in der Zeit, die man hat, auch wirklich leben. Generell gibt das Werk eine tolle Übersicht über wichtige Denker aus über 500 Jahren.

Der futurologische Kongreß – Stanislaw Lem (1971)

Ein Sci-Fi-Klassiker, den ich schon lange unbedingt lesen wollte. Es ist schlicht erstaunlich, auf welche Ideen Lem auf knapp 120 Seiten kommt. Ich habe mich wie auf einem Trip durch Matrix und Inception gefühlt. Im Zentrum von Lems Roman steht die Frage, inwiefern der Mensch in der Lage ist, in die Welt einzugreifen und die Folgen vorherzusehen oder zu regulieren. Hier in der Welt von Tichy und Professor Trottelreiner jedenfalls führt das zu Schlimmstem. Kleines Wehwehchen: Mir ist die Geschichte zu kondensiert und ich hätte das Ganze gerne etwas ausführlicher gelesen.

Platz 4 und 3

Von Mäusen und Menschen – John Steinbeck (1937)

Hier gilt das Gleiche wie bei Lem’s Futurologischen Kongreß – insgesamt war mir die Geschichte rund und die ungewöhnlichen Freunde Lenny und George zu schnell auserzählt. Trotzdem fand ich hier auch die Kürze noch etwas stimmiger. Besonders herausragend ist Steinbecks Fähigkeit die Charaktere mit einer ganz unangestrengten Sprache zu zeichnen und sie dem Leser nahe zu bringen. Eine bewegende Geschichte um eine besondere Freundschaft und den hoffnungslosen Versuch der Farmarbeiter nach dem großen wirtschaftlichen Zusammenbruch 1929 an ihren Träumen und einer Zukunft festzuhalten.

Herz der Finsternis – Joseph Conrad (1899)

Wir sind in den Top 3 meiner bisher gelesenen Bücher angekommen. In Herz der Finsternis erzählt Joseph Conrad in eine Rahmenhandlung eingebettet die Geschichte von Kapitän Marlow, der unter der Flagge der britischen Kolonialmacht von einer Handelsfirma in den Kongo geschickt wird. Dort soll er den berüchtigten Herrn Kurtz aus den Dschungel holen. Dieser hat aufgrund erstaunlicher Elfenbeinlieferungen und unlauterer Methoden von sich reden machen und ist nun schwer erkrankt. Eine Geschichte über Macht, Fortschritt, Moral und die Abgründe der menschlichen Seele. Und das in einer unglaublichen Sprache. Wenn ihr mehr wissen wollt, findet ihr hier meine ausführliche Rezension/Analyse auf YouTube: Warum man Herz der Finsternis lesen sollte.

Platz 2 und 1

Giovannis Room – James Baldwin (1956)

Auch Giovannis Room ist mit seinen 160 Seiten eher ein „Büchlein“ – hier aber ist mir tatsächlich nichts zu kurz kommen. Wir begleiten David, der im Paris der 1950er Jahren vor seinen eigenen homosexuellen Gefühlen flüchtet und zwischen seiner Verlobten Hella und dem Gastarbeiter Giovanni hin und her gerissen ist. Davids innerer Kampf zerstört Hellas Zukunftspläne, verhindert jegliche (familiäre) Bindung und führt zu einer Katastrophe, die wir in der Retroperspektive von David erzählt bekommen. Ein Buch voll verzweifelter und wenig sympathischer Charaktere, deren Körper und Gedanken ihr eigenes Gefängnis sind und deren Einsamkeit einem das Herz bricht.

Der Zauberberg – Thomas Mann (1924)

Dieses Buch zu lesen ist eine Freude, eine Herausforderung und ein Feuerwerk. Ein sehr subtiles und etwas versnobtes zugegeben – aber das macht es nicht geringer. Thomas Mann hat Humor, Geduld und Spaß an komplexen, ambivalenten Figuren. Hier geht es weniger um Handlung, als um die Auslotung von Positionen über die Konfrontation einzelner Figuren. Der Rest ist Kulisse, an der sich die Diskurse des Texts entzünden. So beobachten wir hier Hans Castorp, einen jungen Studenten, der in ein Sanatorium nach Davos reist, um dort seinen kranken Vetter Joachim zu besuchen.

Aus 3 Wochen geplanten Aufenthalt werden 7 Jahre, bis der Krieg ihn mitten in die Schlacht wirft. Damit endet das Buch und all die Überlegungen, die unseren jungen Protagonisten über die Zeit beschäftigen und die wir verfolgen dürfen. Er sucht nach dem neuen, idealen Mensch-Sein und wandelt dabei zwischen weltabgewandtem Nihilismus, Okkultismus, humanistischen Bestrebungen und verbotener Sexualität. Ob er eine Lösung findet, müsst ihr selbst rausfinden. Das Buch ist jedenfalls jede anstrengende Seite wert, die einem doch hie und da unterkommen wird.

Es kommt halt immer was dazwischen: Ungeplante Lektüre.

Wie gut, dass es neben der selbst auferlegten Pflichtlektüre noch weitere Bücher zu entdecken gibt. Für die muss natürlich auch (Lese-)Raum gelassen werden. Genaueres zu der Lektüre werde ich euch entweder hier in einem weiteren Artikel oder in den jeweiligen Lesemonat-Videos auf meinem YouTube-Kanal erzählen. (Zu Blutbuch gibt es sowohl schon einen Artikel, als auch eine Videorezension).

Wie ihr erkennen könnt, haben sich aber auch diese ungeplanten Lektüren gelohnt. Blutbuch wird mich nie wieder loslassen, obwohl ich zuerst skeptisch war. Triceratops durfte nach einer großartigen, sprachlich fulminanten Lesung von Stephan Roiss mit nachhause. Etwas mehr über Christine Lavants Leben zu lesen, hat mich glücklich, traurig und wütend zugleich gemacht. Und Dostojewskijs Weiße Nächte war ein super Einstieg für die Lektüre von Strafe und Verbrechen und hat mir mitten im Publikum des Eulenspiegel Zeltfestivals Tränen in die Augen getrieben. Aber auch dazu vielleicht ein anderes mal mehr.


Hier findet ihr meinen YouTube Kanal mit jeder Menge Videos rund ums Lesen und mein Studium: Books and Poets

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Natascha Huber